Die Geschichte vom schönen Rishna

Die Geschichte von Rishna dem Schönen

Vor vielen, vielen Ionden lebte Rishna Lisdar. Er zog durch das Land und war allseits beliebt. Selbst die Vögel grüßten Rishna auf seinen Wanderungen, denn er trug stets blinkendes Geschmeide um Hals und Finger, schließlich fertigte er den schönste Schmuck aus Silber, den man sich vorstellen konnte, und Vögel lieben diesen glitzernden Anblick.

Rishna war auch unter den Frauen beliebt und die lieblichste unter ihnen war Dirsha, die ihm zugeneigt war. Sie erwies ihm oft ihre Gunst und so zeigte sich bald, dass sie ihm ein Kind schenken würde. Rishna zog also los, um an altem Platze zu den Ahnen zu sprechen und nahm den Weg in die Wälder. Er war frohen Mutes, denn es war ein ihm nur zu bekannter Weg. Doch ein Unwetter zog auf, als die Nacht begann und Rishna fand kein Lager noch Weg. So suchte er in Finsternis nach einem Unterschlupf und sang ein Lied zur Beruhigung gegen seine Angst. Schließlich waren die Zweigötter ihm gnädig und er fand sich auf einer Lichtung unter einer alten Baumwurzel, die ihn vor dem Regen schützte.

Wie er so da saß und gerade den Feuerstein gegen den Stahl schlagen wollte, um sich an einem Feuer zu wärmen, trat eine Gestalt an sein Lager. „Wanderer“, sprach sie, „ich sehe wohl, dass Du vom Weg abgekommen bist. Nur selten kommt jemand an diesen Ort.“ Rishna schaute auf und sah eine gar wunderschöne Frau. Ihr Lächeln war verheißungsvoll, ihre Augen ein Quell der Freude und ihre Gestalt so voller Anmut, dass neben ihr jeder Edelstein trübe und grau aussah. Rishna vergaß, dass er sich am Feuer wärmen wollte, denn ihm wurde so warm und wohl, dass ihm nichts mehr mangelte. Die Fremde aber nahm seine Hand und neigte ihren Kopf und sprach: „Du bist so schön, Wanderer, und ich so einsam. Wollen wir uns gegenseitig Trost spenden?“ Und Rishnas Herz tat einen Sprung vor Freude und er antwortete: „Fremde, ich bin Rishna von den Lisdar. Allzu gerne möchte ich meine Wärme mit dir teilen und dir alle Wünsche erfüllen. Doch ist es Brauch in meinem Volke, dir etwas zu schenken, darum nimm bitte dies als Zeichen meiner Zuneigung und schmücke dich damit. An deinem Hals, fürchte ich, wird es jedoch lediglich ein fahler Schein sein, denn dein Antlitz überstrahlt alles, was ich zuvor sah.“ So schenkte Rishna der Fremden seine prächtigste Silberkette und hängte sie ihr um. Die beiden gaben sich der Liebe hin und vergaßen die Welt und allen Unbill um sich herum.

Als der Tag dämmerte, erschien es Rishna, als wäre er aus tiefem Schlummer erwacht, frisch und gestärkt. Die schöne Fremde hatte ihn schützend in die Arme genommen und begrüßte mit ihm das Morgenlicht. Sie sprach: „Geliebter, ich danke Dir für deinen Trost und deine wahre Liebe. Nimm dies als Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit.“ Sie gab ihm einen Wanderstab aus Eichenholz, aus dem einige junge Triebe schlugen. „Nimm diesen Stab, er wird dir ein guter Begleiter sein, denn ich sehe, dass Du noch lange wandern musst. Wenn Du den Stab nicht mehr brauchst, suche einen schönen Hain und lasse ich dort.“ Dann wies sie ihm den Weg. Rishna fiel es schwer sich von der schönen Fremden zu trennen, doch er hatte ein Ziel vor Augen und zog also weiter.

 
Er kam schließlich zum alten Platz und war überrascht, denn seine Sippe hatte ihre Zelte dort aufgeschlagen. „Haben mich meine Schwestern und Brüder in der Nacht überholt“, fragte sich Rishna. Ein Hirtenjunge in den Sippenfarben der Lisdar und hübsch von Angesicht begrüßte ihn und sprach ihn an: „Wer bist Du, Bruder, ich habe Dich hier noch nie gesehen?“ „Ich bin Rishna, Freund, du müsstest mich kennen, denn ich zog erst vor vier Mont aus unserem Lager fort zum alten Platz. Dich aber habe ich vorher bei den Zelten nicht gesehen.“ Da sagte der Junge: „Rishna, deinen Namen kenne ich wohl, denn ich trage ihn selbst, wie viele meiner Sippe vor mir.“ Rishna erschrak bei diesen Worten, denn alles erschien ihm plötzlich fremd.

So ging er weiter ins Lager, um den Ältesten aufzusuchen. Als er das Lager betrat, war eine große Verwunderung unter den Versammelten. Ein Mann mit silbernen Ohrschmuck trat auf ihn zu und sagte: „Sippenbruder, wir erkennen dich nicht, aber sage mir: woher hast Du jenen Schmuck, den du an Armen und Fingern trägst, sie scheinen meiner Familie zu gehören.“ „Bruder“, sprach Rishna, „sie sind mein Eigen, denn ich, Rishna, habe sie angefertigt. Ich sehe aber, dass Du das Lager mit meiner Gefährtin Dirsha geteilt hast und sie Dir den Schmuck schenkte, den ich ihr eigens herstellte. Dein Ohrring stammt aus meiner Werkstatt.“ Da wurde der Angesprochene bleich und sprach: „Rishna ist auch mein Name, wie der aller meiner Väter und Väterväter. Diesen Schmuck, Ehrwürdiger, trage ich, seit mein Vater ihn mir vererbte und werde ihn meinem Sohn geben, wenn ich dereinst die lange Reise antrete. Doch Du, Namensvetter, musst lange fort gewesen sein, denn Dirsha ist meine Ahnin. Vor einigen Iondeh verlor sie ihren Gefährten Rishna, meinen Ahn, von dem dieses Geschmeide stammt. Du bist willkommen, Ahn, an unseren Zelten.“

Rishna, der Ältere, begriff. „Kann es wahr sein, dass ich nicht eine Nacht sondern Iondeh fort war?“, fragte er sich. Er starrte auf den Eichenstab, den er als Geschenk für die Nacht erhalten hatte. „Mein Enkel, sprach Rishna, ich war lange fort und habe meine Kinder nicht aufwachsen sehen. Trauer überkommt mich, denn ich werde meine geliebte Dirsha auf dieser Reise nicht mehr treffen. Aber in deinem und dem Gesicht deines Sohnes erkenne ich nun ihres wieder. Nimm diesen silbernen Armreif und halte ihn in Ehren wie die Ohrringe. Ich werde versuchen, Dirsha einzuholen und muss nun schnell weiterziehen.“ Die beiden Familienangehörigen umarmten sich, weinten vor Freude und Trauer und Rishna, der Schöne, der lange geschlafen hatte, fasste seinen Wanderstab und zog los.

Die Lisdar erzählen sich, dass Rishna so schnell wie der Wind ging und er bald die lange Reise antrat. Sein neuer Wanderstab führte ihn stets auf schnellstem Weg und wirbelte Blätter hinter seinem Schritt in die Höhe. Die Sherut Sotfar sprachen oft mit ihm und dank seines Wanderstabes holte er Dirsha bald ein. Als er seine Geliebte wiederfand, waren sie beide sehr froh, „Dirsha“, sagte er, „ich gab mich einer anderen hin und war lange fort. Wir konnten nicht gemeinsam reisen, aber ich habe stets deiner gedacht und liebe dich immer noch. Ab jetzt will ich nicht mehr von deiner Seite weichen“. Und Dirsha antwortete; „Rishna, du warst lange fort und auch ich hatte viele Gefährten. Doch wusste ich, dass Du mir folgen wirst und sehnte den Tag deiner Ankunft herbei. Ich freue mich, dass wir wieder gemeinsam ziehen.“ Da nahmen sie sich in den Arm und Rishna schenkte Dirsha seinen schönsten Ring. Dann gingen sie gemeinsam auf einen Hügel pflanzten den Stab in den dortigen Hain.

Die beiden reisen immer noch. Von dem Stab aber sagt man sich, dass die jungen Triebe wuchsen und Blätter und Wurzeln bildeten. Bald schon soll ein junger Baum an jener Stelle gestanden haben. Und so manches mal wurde dort eine schöne Fremde gesichtet, die Reisenden Obdach für eine Nacht bot… oder mehr.